K. Flay im Interview zu "Mono" und den Neuanfang, den ihr Hörverlust mit sich bringt (2024)

Kristine, vor einem knappen Jahr wurde bei dir Labyrinthitis und ein plötzlicher Hörverlust (SSNHL) diagnostiziert. Eine seltene Erkrankung, durch die du dein Gehör auf dem rechten Ohr vollständig verloren hast. Wie geht es dir mittlerweile?

Eigentlich geht es mir im Moment ganz gut. Allerdings muss ich sagen, dass es mit Abstand das verrückteste Jahr meines Lebens war, immerhin wurde ich durch die Diagnose mit ziemlich vielen Hürden und Veränderungen konfrontiert. Natürlich war das ein schmerzhafter Prozess und ich musste erstmal lernen, mit dieser neuen Situation klarzukommen. Rückblickend war es aber auch eine empowernde Zeit, die meinen Blick auf meine Lebensweise als Künstlerin und Mensch verändert hat.

Zum Zeitpunkt deiner Diagnose waren die Arbeiten an „Mono“ bereits in vollem Gange. Kurz vorher hattest du noch den Kilimandscharo bestiegen und warst gesundheitlich voll auf der Höhe. Inwieweit hat die Diagnose die Arbeit an deinem Album beeinflusst?

Meine Erkrankung hat die weitere Arbeit an meinem Album definitiv beeinflusst, das steht außer Frage! Da war einerseits die Notwendigkeit, trotz allem weiterzuarbeiten und zum Tagesgeschäft zurückzukehren. Business as usual, wenn man so will. Und so verrückt es auch klingen mag: Durch diese Erfahrung konnte am Ende eine befreitere Platte entstehen. Es war, als hätte sich für mich das Portal zu einer lange verschlossenen Welt geöffnet. Als Teenagerin war ich zum Beispiel super fokussiert, vor allem mit Blick auf meine akademische Laufbahn. Die Musik war damals ein Ventil und gab mir ein Gefühl der Freiheit. Dieses Gefühl, dass es keine Grenzen gibt und alles möglich scheint, ist im Laufe meiner Karriere irgendwann auf der Strecke geblieben und durch meine Erkrankung zurückgekehrt. Sie hat mir vor Augen geführt, warum ich das tue, was ich tue: aus Liebe zur Musik.

Wie genau hat sich dein Zugang zur Musik durch die Erkrankung verändert?

Ich glaube, ich bin insgesamt einfach flexibler und entspannter geworden, was das angeht – in einem guten Sinne. Ich habe für „Mono“ mit Paul Meany zusammengearbeitet. Er hat mich dazu ermutigt, meine Hörgewohnheiten zu hinterfragen und ganz oldschool an die Platte heranzugehen. Die größte Veränderung sehe ich aber bei meinem Storytelling. Mein neues Album ist im Grunde wie ein Gefäß, in das ich meine Geschichten reinpacke. Mittlerweile versuche ich aber, das große Ganze in den Blick zu nehmen. Den Makrokosmos, bei dem auch mal ein Blick nach Außen nötig ist. Das war auf früheren Veröffentlichungen anders. Letztendlich würde ich sagen, dass „Mono“ das Produkt dieses Entwicklungsprozesses und meiner offeneren Herangehensweise ist.

Im Song „Raw Raw“ erzählst du von den Wunden der Vergangenheit und von der Verletzlichkeit, die mit dem Zustand des Verliebtseins einhergeht. Gleichzeitig war es für dich die erste Veröffentlichung seit deiner Erkrankung. Inwiefern hat dieses Erlebnis deinen Blick für das Thema Verletzlichkeit geschärft und dem Song eine neue Bedeutung gegeben?

Als ich mit dem Schreiben des Songs begann, habe ich mich tatsächlich intensiv mit dem Gefühl des Verliebtseins und der Verletzlichkeit auseinandergesetzt (lacht). Anschließend ging es eher um eine andere Form der Verwundbarkeit. Um eine, die mit dem Gefühl der Desorientierung und des Unwohlseins in sozialen Situationen verbunden ist. Mein Kopf hat sich durch all die Eindrücke und Geräusche einfach wahnsinnig überladen angefühlt. Ein Zustand, der vergleichbar mit dem eines Kindes ist, das eine bestimmte Situation nicht richtig zuordnen kann. Dieses Gefühl kam durch meine Erkrankung plötzlich zurück und ich spürte diese kindliche Unsicherheit. Der Song ist aber nicht nur eine Auseinandersetzung mit der eigenen Verwundbarkeit, sondern soll auch deutlich machen: Wenn man aus seiner Komfortzone herauskommt und plötzlich realisiert, wie viel man erreicht hat, dann kann das eine unglaubliche Kraft in einem freisetzen.

Lass uns über Politik reden. Du bist in Illinois geboren, lebst aber bereits seit längerem in Los Angeles. Wie erlebst du derzeit das politische Klima in den USA, auch mit Blick auf die anstehenden Wahlen?

Oh mein Gott, wie viel Zeit haben wir? (lacht) Ok, los, lass uns über Politik reden. Nach meinem Gefühl ist das politische Klima in den USA momentan ziemlich aufgeladen – was allerdings auch auf andere Länder zutrifft. Irgendwie ist das aber auch paradox, weil persönliche Erfahrungen oftmals mit der tatsächlichen Realität kollidieren. In Los Angeles kannst du sein, wer du bist und wie du bist. Ohne Einschränkungen, komplett frei. Gleichzeitig erlebst du aber, wie viel Angst manche Menschen vor der kleinsten Veränderung in ihrem Alltag haben. Als hätten sie eine Art Resistenz gegenüber gesellschaftlichem Wandel entwickelt. Und dann gibt es wiederum diejenigen, die das genaue Gegenteil verkörpern. Macht mich die momentane Lage wütend? Klar. Bin ich trotzdem optimistisch? Auf jeden Fall! Ich habe in meinem Leben bereits so viele Leute kennengelernt, die für Vielfalt und Toleranz kämpfen. Da wäre es vermessen, sich nicht wenigstens einen Funken Optimismus zu bewahren. Natürlich habe ich trotzdem Angst, dass irgendwelche Lobbyisten und Hardliner früher oder später den politischen Diskurs dominieren könnten. Aber mein Antrieb ist und bleibt die Hoffnung, dass das nicht passieren wird.

Bereits auf früheren Veröffentlichungen hast du dich klar politisch positioniert. Die Songs für „Inside Voices“ waren beispielsweise in den letzten Monat der Trump-Regierung entstanden, bereits davor hattest du dem ehemaligen Präsidenten mit „The President Has A Sextape“ einen Song ‚gewidmet‘. Auf „In America“ hältst du den Verfechter:innen des American Way Of Life nun erneut den Spiegel vor, indem du Themen wie Waffen, Polizeigewalt und Drogen aufgreifst. Inwiefern würdest du dich selbst als Musikerin mit politischem Anspruch bezeichnen?

Ich würde mich nicht speziell als Mensch mit einem politischen Anspruch bezeichnen, aber aus einem gewissen Kontext kann man sich als Individuum eben nie ganz herauslösen. Und ein großer Teil dieses Kontextes ist eben der politische Diskurs. Ich rede mit meinen Freund:innen über Politik, ich greife politische Themen in meiner Musik auf. Entsprechend ist das ein Teil meiner Lebensrealität, der nicht losgelöst von anderen Bereichen existieren kann. Als queere Frau ist mir z.B. nicht nur Sichtbarkeit ein wichtiges Anliegen, sondern auch jungen Menschen zu zeigen: Eine Identifikation ist möglich, in vielen Bereichen. Ein Schwarzweißdenken bringt uns da allerdings nicht weiter, was ich mit „In America“ deutlich machen will. Auch ich habe gemischte Gefühle meiner Heimat gegenüber. Auf einige Dinge bin ich stolz, und dann gibt wiederum andere Dinge, die ich als extrem problematisch empfinde. In erster Linie geht es für mich aber darum, eine Basis für Diskussionen zu schaffen. Das bringt meiner Meinung nach mehr, als weiter an verhärteten Fronten zu kämpfen.

Sicherlich ist Kunst nicht das Allheilmittel, wenn es in um die Lösung gesellschaftlicher Probleme geht. Trotzdem scheint ihr zumindest das Potenzial und die Funktion inhärent, Veränderungen anzustoßen. In politischen aufgeladenen Zeiten umso mehr – oder?

Kunst ist mit Sicherheit kein Allheilmittel. Ich glaube aber, dass sie zumindest ein Türöffner sein kann. Du betrittst dadurch einen neuen Raum und plötzlich eröffnen sich dir Perspektiven, die du vorher nicht kanntest. Es gibt da diesen einen Song von Mos Def, „Mathematics“. Darin geht es um das Gefängnis-System in den USA. Als ich den Song gehört habe, hat mich das zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit diesem Thema bewegt. Dazu, Dinge infrage zu stellen. Weißt du, was ich meine? Neugierde ist der erste Schritt zur Veränderung, und Kunst kann die Initialzündung für diese Neugierde sein. Den Vorteil, den man dabei als Musiker:in hat: Man kann Dinge frei aussprechen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Zumindest nicht die Konsequenzen, die man in anderen Berufen erwarten würde. Natürlich bringt das Verantwortung mit sich, aber es gibt dir auch eine enorme Freiheit.

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